Ein Morgen auf einer Terrasse. Einer Urlaubsterrasse, also einer, die man nicht dauernd belebt, sondern nur für ein paar Tage oder Wochen. Ein paar schmale Quadratmeter einer Handtuchterrasse, eine von vielen, eng nebeneinanderliegenden Terrassen niederländischer, genauer: zeeländischer, noch genauer: schouwen-duiveländischer Einfamilien-ferienhäuschen. Für Menschen wie mich, die ihre Privatheit lieben, sitzt es, spricht es, raschelt es, kommt heraus mit Terrassentürgezische, geht herein mit Terrassentürgezische die permanente Einschränkung der eigenen Privatheit direkt hinter den dünnen, aus Sperrholz geflochtenen, schwarz lackierten Seitenzäunen.
Nach vielen brandheißen Sommersonnentagen ist gestern eine Kaltfront wetterbestimmend gewesen, und heute, mit zuerst schönster Rückseitenklarheit und strahlendblauem Morgenhimmel, jetzt zunehmend wölkchenbeflockt, verlagert sich das Leben wieder mehr nach draußen. Aus den geöffneten Schiebetüren weht shampoogeschwängerter Badezimmermief, oder Zigarettenrauch, der meine womöglich niemals vollends ausheilende Nikotinsucht zu triggern versucht, oder Kaffeearoma, das sich mit meinem frischen Darjeelingduft in der Nase beißt.
Die Nachbarn auf Zeit sieht man nur schemenhaft durch die Lücken der Zäune und die Hecken, man grüßt sich nur, wenn man sich auf den Wegen durch die Ferienanlage begegnet oder in die nach hinten unbezäunten Gärten schaut und die frisch geduschten, rauchenden oder kaffeeschlürfenden Gestalten sieht. Kurzes Winken, Nicken, „Hallo“ oder„Guten Morgen“.
Wenn das Wetter mitspielt, wird aus allen Richtungen gegrillt. Alle Terrassenurlauber wissen, dass der Nachbar zur Linken und der Nachbar zur Rechten alles mithört, was gesprochen wird. Das provoziert leiseres Reden als üblich, manchmal an der Grenze zum Flüstern, und eine vermutlich unreflektierte Form der Selbstzensur. Streiten besser drinnen oder wenn man mit dem Auto unterwegs ist.
Manchmal wünsche ich mir Regen, damit sich unser Leben nach innen verlagert. Durch die dünnen Ziegelwändchen hört man dann nur die Treppenstufen knarzen, die Toilettenspülungen und manchmal entweichende Verdauungsgase aus den kleinen Bädern, die Kopf an Kopf, Wand an Wand gebaut wurden. Dazu Gemurmel, wenn die Gespräche lauter werden. Zum Glück man kann es nicht verstehen. Bestimmt hätten wir sonst gestern Abend gehört, wie unsere nächsten Hinterwändler endlos herumstöhnten, weil wir bis Mitternacht die Kniffelwürfel auf den Tisch geknallt haben. Je mehr Lärm man selbst macht, desto weniger hört man. Sorry, Nachbarn1 : Morgen sind wir weg!
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1 Weil es so schön ist: „Nachbar ist eine natürliche oder juristische Person, die sich in unmittelbarer Nähe aufhält.“ (Wikipedia)
Bildnachweis: „Terrasse 1“, „Winkehand“, „Terrasse 2“ © Jens Olaf Koch